Die verbrannten Menschen
10.10.2013 11:48Grade lese ich einen sehr ernüchternden Artikel, in dem es um die moderne Arbeitswelt geht, aus der ich ja grade mehr oder weniger geflüchtet bin, nachdem es einfach nicht mehr ging. Besonders treffend fand ich diesen Satz: "Gesunde Menschen gehen rein in die Firmen, und kranke kommen raus. Die Fließbänder der schönen neuen Arbeitswelt produzieren Volksleiden wie Bluthochdruck, ADHS und Burn-out. Beschossen mit Mails, bombardiert mit Projekten, behelligt von Anrufen, bedrängt von Zielen - so rotiert der Mitarbeiter um die eigene Achse."
Es könnte tatsächlich treffender nicht sein. Ich hab etwas über fünf Jahre Vollgas in einem mittelständischen Büro gearbeitet und hatte nie das Gefühl, auch nur ansatzweise meine Arbeit geschafft zu haben. Besprechungen, Baustellenbesuche, Protokolle, Aktenvermerke, Anrufe, Emails, Projektplanung, Projektorganisation, Fachliche Kompetenz, Kreativ sein müssen, Angebote, Rechnungen, Rechnungskontrollen, interne Querelen usw usw... haben mich am Ende wirklich leer und ausgebrannt zurückgelassen wie eine Silvesterrakete am Neujahrsmorgen. Die Arbeit nahm einfach kein Ende. Immer blieb was liegen, immer wäre noch etwas zu erledigen gewesen, immer gibt es noch etwas, was man hätte tun sollen. Mitunter hatte ich 23 Projekte gleichzeitig zu bearbeiten. Große Projekte. Die Überstunden gingen z.T. in die hunderte pro Jahr. Irgendwann bin ich richtig depremiert geworden, dann kamen Ohrensausen, langwierige Erkältungen und Schwindel dazu. Die chronischen Verspannungen im Rücken waren eh schon normal. Als ich dort anfing, war ich topfit und hochmotiviert, am Ende war ich ziemlich angeschlagen. Gottseidank erholt sich der Körper-Geist auch wieder, wenn diese Stressfaktoren weg sind, schliesslich hab ich auch viel trainiert, also hab Stress abgebaut, aber ich hab im Moment eine richtige Ekelsperre gegen "Arbeiten" entwickelt. Schutz vor Überlastungen, würde ich sagen. Aber wie konnte das passieren? Na ganz einfach. Man will sich beweisen, übernimmt Verantwortung, ist idealistisch, identifiziert sich mit der Firma, möchte gute Arbeit leisten. Es war ein schleichender Prozess. Irgendwann geht man unter in Arbeit und dann startet ein Teufelskreis.
Irgendwann denke man auch: ich bin wohl zu schwach, oder zu unorganisiert (dabei arbeite ich sehr strukturiert), oder was auch immer. Man fühlt sich einfach "selber Schuld". Erst später merkt man, wie ausbeuterisch das Gesamtsystem ist. Denn mein ehemaliger Chef war und ist ja ebenfalls ein Gefangener in dieser Spirale. Und ich war ja nicht der Einzige, den es erwischt hat.
Aus meiner Sicht gleicht unser Wirtschaftssystem immer mehr einem Hamsterrad, aus dem immer mehr wirklich gesunde junge Menschen am Ende völlig KO rauspurzeln. Oder gar tot. Anscheinend hat sich ja grade in London ein 21-jähriger totgeschuftet. Und erst gestern hab ich erfahren, dass es einem Bekannten, den ich noch aus der Schule kannte, ebenfalls schwer erwischt hat. Der war sogar in der "Klapse" wegen Burn-out. Der war auch topfit. Hatte in Halle Sport studiert.
Das ist es auch, was mich an der Sache so bestürzt: es trifft auch die gesunden, fitten Leute. Und wenn selbst die nicht mehr mithalten können, wer dann? Dann ist aus meiner Sicht die Grenze erreicht.
Wie gesagt, natürlich sind viele Probleme auch hausgemacht, aber grundsätzlich suche ich immer nach den tieferen Ursachen dieser Entwicklungen. Und anscheinend ist da das derzeit herrschende Geldsystem als hochproblematisch zu betrachten. Dirk Müller hat es ja in einer Talkshow deutlich gemacht: irgendwann kann die breite Masse nicht mehr mithalten, um die Arbeit zu erbringen, die aus dem Wachstumszwang folgt und knickt ein. Anscheinend befinden wir uns in der Endphase eines Zykluses, wie wir ihn schon mehrere Male in Europa erlebt haben und der immer mit einem wie auch immer aussehenden Zusammenbruch endet. Weil die Guthaben einseits und die dazugehörigen Schulden andererseits immer mehr in die Höhe schiessen und sich die Gelder bei immer wenigeren Menschen konzentrieren, während die Masse immer mehr verarmt und immer mehr Arbeitsleistung aufbringen muss.
Diese Fakten sind natürlich alle bekannt, nur werden sie politisch derzeit kaum beachtet. Was ebenfalls problematisch ist, da man somit auch keine Vorbereitungen treffen kann, oder keine politischen Gegenmaßnahmen setzt.
Grundsätzlich ist die Natur, in dem Fall die Mathematik der Exponentialfunktionen, aber recht erbarmungslos und wird sich nicht um Befindlichkeiten kümmern. Deswegen muss jeder zusehen, wie er in diesem System klarkommt oder versuchen, Alternativen zu erschaffen. Und die gibt es ja mittlerweile durchaus.
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