Zu Grabe tragen

23.05.2014 16:22

Grade eben bin ich mit dem Bus aus Limon gekommen, wo heute wieder Markttag ist. Auf der Fahrt bin ich auch an einer Beerdigung vorbeigekommen. Irgendwie hatte das auch Symbolcharakter. Denn nach bald 6 Monaten im Paradies ist nun grade aufgrund der vielen vielen Hautprobleme, mit der die Rohkostgruppe hier in der Zeit, wo ich hier war, geplagt wurde, doch eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Und mit diesen Problemen stelle ich auch ein Grunddogma der instinktiven oder sogar der ganzen Rohkostszene in Frage. Nämlich, dass wir ja quasi irrtümlich in den gemässigten Breiten leben und eigentlich in die Tropen gehören. Da bin ich jetzt. Da sind WIR jetzt. Und upsa...wieso haben wir denn solche Probleme und die dunkelhäutige lokale Bevölkerung nicht? Uns müsste es doch laut Theorie hier prächtig gehen! Geht es aber nicht. Die drückende Hitze ist zum Teil quälend und ermüdend... wie gesagt, die ganzen Hautprobleme. Und diese sind nur eine Bestätigung dessen, was andere Weisse berichtet haben. Ich erinnere mich noch an den Begründer von P4F. Der hatte die Idee, Tropenfrüchte aus Sri Lanka zu importieren. Er berichtet mir, dass er auch Bakterieninfektionen hatte. Er hatte nach eigenen Aussagen Löcher in den Waden bis zum Knochen. Eine Bekannte besuchte ihn. Sie bekam ebenfalls Probleme. Rohköstler gingen nach Thailand und Bali: Staphylokokken.  

Wie gesagt, wir sind hier im Paradies: vorne die Karibische See, mit palmenbestandenen Traumstränden, Kokosnüsse satt, dahinter der immergrüne tropische Regenwald, fast unberührt, darüber der tropische Himmel mit seiner warmen, heissen Sonne. Nachts regnet es, tagsüber scheint die Sonne. Perfekt, oder? Da gehören wir doch hin! Nicht nach Bergisch-Gladbach oder Neu-Ilsendorf. Das MUSS ein Fehler sein, dass wir da hausen, statt hier an den Traumstränden zu leben, wo Durian wächst, und Jackfrucht, Mangos, Corosoll, Bananen, Papayas, Ananas, Avocados... all das leckere Zeugx, an das wir ja viel besser genetisch angepasst sind, als an Äppel, Birnen und Haselnüsse. All das leckere Zeugx, dass wir für Unsummen bei den Versendern bestellen. Schliesslich sind wir ja daran viel besser genetisch angepasst! Und was für ein Traum: mal nicht dort bestellen müssen, sondern wieder zurück ins Paradies ziehen. Dort leben! Wo einem die Früchte in den Mund wachsen. 

Es leben Menschen hier, sogar sehr gut. Die haben eine schwarze Hautfarbe, oder eine dunkelbraune. Die haben schwarze Haare und braune Augen. Es gibt auch Weisse in diesem Land, aber die leben zumeist im Hochland auf 1.500m. Da ist es kühler und weniger feucht. Es wächst aber auch kein Durian dort, keine Jackfrucht und auch kein Corosoll...und im TV laufen Spots, dass man zwischen 10 und 14 Uhr die Sonne meiden soll (Ähnliche Verteilungsstrukturen gibts übrigends auch in den USA. Da haben sich die Weissen auch eher in den Norden verzogen und in den feucht-heissen Gebieten leben die Schwarzen).

Und das MUSS einen zu denken geben: Wieso sollte die Verdauung und der Stoffwechsel an Tropen-Produkte besser genetisch angepasst sein, wenn die Haut gleichzeitig die genetische Anpassung an dieses Habitat verloren hat! 

Klar kann man argumentieren: Degeneration. Aha. Wir sind also schon zu verkrüppelt, um hier zu leben. Fehlende Gewöhung. Prägung, was weiss ich, mir fehlt da grade nicht viel ein, ich bin aber sicher, das die Vertreter der Tropentheorie VIELE Argumente haben, wieso es die Probleme bei den Weissen hier gibt (heute auf dem Markt hat das ein dunkelhäutiger Einheimischer bestätigt, dass die Weissen hier viel grössere Probleme mit der Haut haben, als Einheimische). 

Ich glaube, dass der Zurück-in-die-Tropen-Idee eine unbewusste Sehnsucht nach paradisischen Zuständen innewohnt. Mich hat man damit auch gelockt und ich hab viel Geld für Tropensachen ausgegeben. Aber der Wahrheitsgehalt dieser Idee hält offensichtlich keiner nüchternen Betrachtung stand. Selbst Leute, die von Geburt an Roh sind hat es erwischt. So what? 

Laut Theorie sollten wir hier gedeihen wie ein Fisch, der plötzlich wieder ins Wasser geworfen wurde. Endlich zuhause. Endlich im Paradies, endlich dort, wo meine Gene sich entwickelt haben und das wächst, was meiner Genetik entspricht. 

Pustekuchen! 

Klar sind die Produkte genial! Aber das Klima, in dem diese Produkte gedeihen, ist schwer erträglich. Und dieser Widerspruch ist für mich ein Zeichen, dass mit dieser ganzen Theorie der Genetischen Anpassung noch einiges nicht stimmt. 

Vielleicht sind wir Weissen einfach Kinder des Sommergrünen Laubwaldes, der Steppen Europas, der kargen Wintersonne. Kinder der gemässigten Breiten, angepasst an diese Habitate durch die Fähigkeit, Vitamin D auch aus geringer Sonneneinstrahlung zu gewinnen, angepasst an den Jahreszeitenwechsel durch die Fähigkeit voraus zu denken, Vorratshaltung zu betreiben, uns im Winter Felle überzuwerfen. Wir sind seit mindestens 40.000 Jahren, dass sind ca. 1.300 Generationen raus aus den Tropen. Und aus den Feuchten Tropen noch viel länger. Manche Menschen sind so weiss, die sehen aus wie verchromte Blitze! Und da will man uns erzählen, dass wir da mit Durian besser fahren, weil wir daran genetisch besser angepasst sind? Nach 40.000 Jahren rumlungern in Europa? In der damaligen Kältesteppe und Tundra? 

Versteht mich nicht falsch: jeder, der Durian essen mag, nur zu! Aber ich will nichts mehr von genetischer Anpassung hören. Es gibt einen Instinkt, das erlebe ich ja täglich aufs Neue. Und Rohkost war seit dem ersten Schritt nach Europa unser Begleiter. Meine Grosseltern noch haben fast jeden Tag rohes Fleisch als Gehacktes gegessen, oder Obst und Gemüse, oder sogar mal ne Tasse Blut beim Schlachten, aber hört doch auf mit dem Unsinn, dass wir nur wieder in die Tropen gehen müssten, und schon wird ALLES gut! Das ist genau so ein Schwachsinn wie: esst einfach roh und alles wird gut, oder esst einfach instinktiv und alles wird gut. 

Mir gefiel immer diese Idee: "Wenn man sich in der Welt auf das Obst zurückbesinnen würde, könnten wir sehen, wie auf den Flächen, mit denen durch unsere intensive Landwirtschaft Raubbau getrieben worden war, wieder tausenderlei Arten von Obstbäumen gepflanzt würden, so daß sich im Frühling ein einziger Garten vor uns ausbreitet, voller Blumen und Düfte, und die Bienen könnten uns Berge von Honig liefern". Das ist auch aus dem Buch vom Burger.

Vielleicht muss man diese fixe Tropenidee endlich mal loslassen, um endlich bereit zu sein, dass Paradies vor der Haustür zu erschaffen. Solange man immer mit einem Auge und halbem Herzen in die Ferne schweift, weil man glaubt, dass es da besser ist, wird einem wohl die Energie fehlen, dort etwas paradisisches zu erschaffen, wo man grade lebt...

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